(Marchtrenk, 31. August 2021) Warum immer mehr Unternehmen auf automatisierte statt manuelle Tiefkühllager setzen, erläutert Michael Schedlbauer, Industry Manager für den Lebensmittelbereich bei der TGW Logistics Group, im Interview.
Wie hat sich der Markt für Kühllogistik in den vergangenen Jahren entwickelt?
Michael Schedlbauer: 2020 hat die Corona-Pandemie für überproportionales Wachstum in diesem Segment gesorgt. Die Menschen haben öfter zuhause gekocht und mehr tiefgekühlte Zutaten wie Gemüse oder Fisch gekauft. Gleichzeitig wuchs die Nachfrage nach Convenience-Produkten, in den USA beispielsweise konnte der Bereich Tiefkühlkost um 20 Prozent zulegen. Diesen Trend spiegeln auch Zahlen aus Deutschland wider: Der Verband Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen (VDKL) berichtet, dass die Kühlhäuser der Mitglieder 2020 mit einer durchschnittlichen Gesamtauslastung von 81,4 Prozent um 1,3 Prozent voller als noch im Jahr 2019 (80,1 Prozent) waren – und insgesamt so gut belegt wie zuletzt vor 18 Jahren.
Das hört sich nach einem krisenfesten Logistiksegment an…
In der Tat. Aktuell sehen wir, dass viele Unternehmen und Anleger in diesen Bereich investieren. Denn zum einen sind die Zinsen niedrig. Zum anderen gilt – Corona hin oder her – nach wie vor die Aussage: Gegessen und getrunken wird immer. Das bedeutet: Die Branche ist sehr stabil gegenüber externen Einflüssen. Deshalb lohnen sich auch langfristige Investments in neue, automatisierte Lagerstrukturen.
Wie war die Lage vor dem Ausbruch von Covid-19?
Der Markt ist im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gewachsen, die Akteure haben ihre Kapazitäten ausgebaut – sowohl Handelsunternehmen als auch Kontraktlogistiker. TGW schloss beispielsweise unlängst ein Projekt mit dem niederländischen Dienstleister NewCold ab, der für einen bekannten Lebensmittelproduzenten arbeitet. Zudem ging das COOP-Zentrallager in der Schweiz erfolgreich in Betrieb. Im Lebensmitteleinzelhandel gibt es zwei Trends: Zentralisierung und Insourcing. Ersteres spiegelt das COOP-Projekt Schafisheim gut wider. Die Eidgenossen haben ihre Tiefkühllogistik zentralisiert – und drei regionale Verteilzentren in eines zusammengeführt. Zudem ist diese Anlage auch Regionallager für Frischware für den Nordosten der Schweiz. Man findet also mehrere Temperaturzonen in diesem Gebäude mit 240.000 Quadratmetern Gesamtfläche.
Mit Automatisierung verbinden viele hohe Investitionssummen…
Wenn man sich das große Ganze, also die Gesamtbetriebskosten oder Total Cost of Ownership, ansieht, zeigt sich ein anderes Bild. Lagerautomatisierung lohnt sich in der Tiefkühllogistik ganz besonders. Denn die Anforderungen im Lebensmitteleinzelhandel sind hoch. Die Pick Qualität muss perfekt sein, die Lieferungen pünktlich eintreffen und die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden. Unternehmen müssen das lückenlos und auf Knopfdruck nachweisen können. Auch eine geringere Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt lässt viele Logistikverantwortliche besser schlafen. Minimierte Warenverluste – beispielsweise in Folge von Beschädigungen durch Stapler – haben einen weiteren positiven Einfluss auf den Business Case.
Wie wichtig ist Transparenz?
Nehmen wir das Beispiel Produktrückrufe. Im Fall der Fälle müssen sowohl der Produzent als auch der Händler mit wenigen Klicks jene Chargen identifizieren können, die betroffen sind. Eine solche Transparenz bekommen Unternehmen nur mithilfe von Digitalisierung und Automatisierung in die Supply Chain. Immer mehr Lebensmittelproduzenten bieten ihren Kunden zudem an, die komplette Wertschöpfungskette zu verfolgen – beispielsweise bei Fisch vom Fang bis hin zur Tiefkühltheke. Ermöglicht wird das auch dank der IT, die in automatisierten Lagerlösungen im Einsatz ist. Neben der Digitalisierung sind Nachhaltigkeit und Arbeitskräftemangel derzeit die größten Treiber für neue Automatisierungsprojekte.
Warum ist Nachhaltigkeit wichtig?
In Zeiten des fortschreitenden Klimawandels sind sich viele Unternehmen ihrer Verantwortung bewusst, Ressourcen einzusparen. Das wird auch in der Kommunikation mit den Kunden immer wichtiger, wie die Aktion „Taten statt Worte“ von COOP zeigt, die inzwischen fast 400 Maßnahmen umfasst. Viele Firmen haben sich ehrgeizige Ziele auferlegt, ihren Energieverbrauch beziehungsweise ihre Emissionen zu senken oder ganz CO2-neutral zu wirtschaften. Dafür nehmen sie jeden Mosaikstein in der Supply Chain genau unter die Lupe.
Mit der Zentralisierung seiner Distributionszentren in einer einzigen, innovativen Anlage kann COOP beispielsweise pro Jahr bis zu 10.000 Tonnen Kohlendioxid einsparen. Ein altes, manuelles Tiefkühllager, das auf -25 Grad Celsius gekühlt wird, braucht deutlich mehr Energie als eine neue, automatisierte und volumenoptimierte Anlage mit der gleichen Leistung. Weiter steigende Energiekosten machen Nachhaltigkeit nicht zuletzt auch aus der Wirtschaftlichkeitsperspektive attraktiv.
Weshalb bewegt das Thema Arbeitskräftemangel die Branche?
Das ist oft das gewichtigste Argument, wenn es um eine Investitionsentscheidung geht. In Westeuropa ist es kaum noch möglich, Arbeitskräfte für Tiefkühllager zu finden – mal abgesehen von jenen, die Leitungsaufgaben im Büro übernehmen. Es gibt Beispiele von Anlagen in Westeuropa, in denen fast ausschließlich Mitarbeiter aus der Ukraine oder anderen weit entfernten Ländern arbeiten. Die Arbeitsbedingungen in der Eiseskälte sind hart. Die Mitarbeiterfluktuation ist hoch, obwohl in vielen Ländern erhebliche Lohnzuschläge bezahlt werden. Mitarbeiter zu finden, zu schulen und zu halten, gestaltet sich zunehmend schwieriger. Dazu kommt: Wegen der Pausenvorschriften sind die Kräfte – im Vergleich zu Mitarbeitern in Lagern mit Raumtemperatur – vergleichsweise kurz in der Anlage. In Deutschland beispielsweise sind gemäß DIN 33403-5 nach 90 Minuten Arbeit 30 Minuten Pause vorgeschrieben. Das ist für eine langfristig ausführbare und erträgliche Arbeit unerlässlich. Aber der Business Case für ein manuell betriebenes Kühllager ist dadurch im Vergleich zu einer Anlage, die nicht gekühlt wird, deutlich schlechter.
Wie verbessert sich die Arbeitssituation in einem automatisierten Kühllager?
Die Automatisierung ersetzt körperlich schwere Arbeit bei tiefsten Temperaturen. Gleichzeitig ist die Lösung so konzipiert, dass die noch anfallenden Tätigkeiten in wärmere Temperaturzonen zwischen -5 und -2 Grad Celsius verlagert werden. Zu diesen Prozessen zählen der Warenein- und -ausgang, die Kommissionierung sowie das Palettieren respektive Depalettieren. Die beiden letzteren Prozesse können auch mithilfe von Robotern automatisiert werden. Alles in allem schafft die Automatisierung höherqualifizierte Jobs – beispielsweise im Leitstand.
Welche Argumente außer Arbeitskräftemangel sprechen noch für automatisierte Kühllager?
Erfahrungen haben gezeigt, dass sich die Produktivität mitunter verdoppeln lässt. Zwei weitere Pluspunkte sind die höhere Prozessqualität und die erwähnten Energieeinsparungen, die sich mit einer automatisierten Anlage erzielen lassen, die sehr viel kompakter gebaut ist als eine manuelle Lösung. Einsparungen von bis zu zwei Dritteln für die Kühlenergie sind hier möglich.
Was ist die beste Automatisierungsstrategie?
Heute werden fast ausschließlich Anlagen mit Shuttlesystemen geplant. Verglichen mit Regalbediengeräten bieten sie die gleiche Ein- und Auslagerleistung bei deutlich weniger Gassen, was eine Volumeneinsparung bedeutet. Regelbediengeräte sind in der Regel in Kleinanlagen mit geringer Leistung sinnvoll.
Wie wird sichergestellt, dass Shuttles bei -25 Grad Celsius funktionieren?
TGW nutzt die neueste Roboter- und Antriebstechnologie. Unsere Lösungen können grundsätzlich im Temperaturbereich zwischen -30 und +40 Grad Celsius eingesetzt werden. Für ein Shuttle im Tiefkühlbereich tauschen wir für den optimalen Betrieb nur drei Komponenten und passen das Schmiermittel an.
Wie schaut der ideale Prozess für ein Kühllager aus?
Unsere Standardlösung, die kundenspezifisch angepasst wird, besteht aus mehreren Modulen. Der Prozess beginnt am Wareneingang. Die palettierte Ware wird geprüft, mit einem Label versehen und kommt dann bei -25 Grad Celsius ins Hochregallager. Zur Kommissionierung der Aufträge wird Ware abgerufen und nach Bedarf depalettiert, Paletten mit Restmengen lagert man wieder ein. Die depalettierten Einheiten werden auf ein Tablar übergeben und ins Shuttlesystem eingelagert. Für die Kommissionierung nach dem Ware-zum-Roboter-Prinzip werden die benötigten Artikel ausgelagert, die Tablare sequenziert und bedarfsgerecht entladen. Die Palettierung erfolgt automatisiert mit Hilfe von Autostax-Robotern. Die Anordnung der Artikel auf dem Kundenladungsträger, meist Palette oder Rollwagen, erfolgt nach verschiedenen Kriterien. Folgende Priorisierung ist die Regel: Stabilität der Palette, Optimierung des Volumens und filialgerechte Anordnung nach Warenfamilien zur schnellen Verräumung im Laden. Die Kundenladungsträger werden anschließend automatisch gesichert und in der richtigen Ladereihenfolge für den Lkw-Transport im Warenausgangspuffer bereitgestellt.
Thema Energieeffizienz. Wie lassen sich signifikante Einsparungen erzielen?
Zur Minimierung des Energieverbrauchs gilt der Grundsatz: Neben dem zu kühlenden Volumen muss der Gebäudefootprint möglichst klein sein. Idealerweise wird die Lösung in einem Gebäude mit maximal im Baugebiet erlaubter Höhe – bis zu 40 Meter – errichtet, um die Grundfläche klein zu halten und Energieverluste über die Dachflachen weitgehend zu vermeiden.
Eine gute Gebäudeplanung nützt wenig, wenn die Ausführung schlecht ist…
Richtig. Eine wichtige Voraussetzung für hohe Energieeinsparungen sind eine dichte Anlage, hervorragende Dämmung sowie gute Schleusen und Tore. Zudem muss man die Luft mithilfe von Trocknern entfeuchten. Der Vorteil automatisierter Lager ist, dass Toröffnungen für den Staplerverkehr wegfallen und sich die Wärmequellen Mensch und Beleuchtung auf ein Minimum reduzieren lassen. TGW setzt zudem auf stromsparende Lösungen: Shuttle-Lifte und KingDrive®-Fördertechnik verfügen über Technologien zur Energierückgewinnung, die Shuttles selbst werden mit innovativen SuperCaps angetrieben.